So ist das Leben

Am Abend beenden wir unsere Reise durch Vietnam dort, wo ziemlich auf den Tag genau 2011 unsere erste gemeinsame Reise durch Südostasien endete. Im Jazzclub SaxN’Art des Saxophonisten Trân Manh Tuân.

Der Titel seines heutigen Programms „That’s life“ scheint perfekt für diesen Abschluss zu passen, für mich klingt er mehr nach Zweck-Optimismus als nach einem schnöden Tribut an Frank Sinatra. In meiner Vorstellung wird er zum Fazit, das ich gerne mitnehme in dieses neue Jahr 2025: Antwort und Lösung für meinen Kampf ums berufliche Überleben als Hörbuch- und Synchronsprecher, der in Zeiten künstlicher Intelligenz von K.I-Stimmen ersetzt werden kann und wohl auch wird, immer dann wenn einzig Wirtschaftlichkeit das Handeln bestimmt.

Denn frei nach Bert Brecht in Leben des Galileo: „Da es so ist, bleibt es nicht so. Denn alles bewegt sich, mein Freund“ kann man „That’s life“ auch als Weckruf verstehen, als Hinweis auf das Unperfekte, letztlich Menschliche, das dem maschinell Erzeugten in seiner Unberechenbarkeit und Einzigartigkeit fehlt. Genau das haben mehrere Gespräche mit Künstlern und Fotografen auf dieser Reise gezeigt, die immer betonten, sie hätten wenig Angst, dass ihre Arbeit durch künstliche Intelligenz gleich welche Ausprägung ersetzt würde. Das sei nicht zu befürchten: „Da fehlt die Seele! Und das spüren die Menschen!

Und „Seele“ gab es an diesem Abend mehr als genug, auch wenn es zu Anfang so gar nicht danach aussah. Rein musikalisch hätten bei mir in  Bezug auf Sinatra schon die Warnlampen aufleuchten müssen. Swing ist nun mal überhaupt nicht mein Ding. Das Konzert beginnt noch recht harmlos  mit einem betulichen Dialog zwischen dem Pianisten Trung Nghĩa, dem Drummer Andy Đức und dem Bassisten Thanh Tân, bis der junge Sänger Hữu Đạt die Bühne entert und sich an Vorbildern der 1940er und späterer Jahre  orientiert. Passenderweise beginnt er seinen Part mit „I’m Old Fashioned“, einem ursprünglich von Fred Astaire 1942 in dem Musical „You Were Never Lovelier“ (Du warst nie berückender) gesungener Filmsong, der sich später zu einem geschmeidig, glatten Jazz-Standard entwickelte.

Kaum ist dieser süße, man möchte fast sagen „Drops gelutscht“, folgt gleich der nächste Streich und die Sängerin Vân Anh stöckelt auf perlenbesetzten Heels, mit kurzem Rock und weißem Schleifchen am Hintern aufs Podium und gibt zur Einstimmung Lionel Richies Pop-Ballade “Hello” zum Besten. Als dann beide Sänger gemeinsam auf der Bühne stehen und im Duett einen mutmaßlichen Doris-Day-Song aus den 1950ern schmettern, wähne ich mich endgültig im falschen Film. Das sieht nicht nur aus wie ein bonbon-buntes Anime, sondern hört sich auch so an.

Derweil sitzt Maestro Trân Manh Tuân abseits an einem Nebentisch und wartet auf seinen Auftritt. Nach über einer Stunde ist es dann endlich so weit und ein Mitarbeiter führt den nach einem Schlaganfall vor zwei Jahren noch etwas gehbehinderten Musiker auf die Bühne. Und das Wunder geschieht: Kaum hat der Saxophonist sein Instrument an den Lippen, reisst förmlich eine andere Welt auf. Ich mag mich irren, aber bereits die ersten Takte erinnern mich fatal an das von Vangelis komponierte Liebes-Thema aus dem Film Blade Runner.

Und das ist erst der Anfang. Man spürt förmlich die unbändige Energie, die dieser Ausnahme-Saxophonist zu entfesseln in der Lage ist. Kaum zu glauben, dass er erst vor einem knappen halben Jahr nach mehreren Operationen die Klinik verlassen hat, wie er mir nach dem Konzert in einem Gespräch erzählt. Coronabedingt war die Zeit, bis er ins Krankenhaus eingeliefert werden konnte, nach einer kleinen Odyssee von einem Krankenaus zum nächsten etwas zu lang geworden. Da hatte ich vor vier Jahren mehr Glück gehabt…

Als der 54jährige sich dann später gleichzeitig mit zwei Saxophonen am Mund regelrecht in Trance spielt, ist das erste Set mit den jungen ambitionierten Kollegen endgültig Geschichte. In meinen Gedanken blitzt wieder das Saxophon aus Ridley Scotts düsteren Science Fiction auf. „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ Ist doch egal, aber wenn Trân sein Instrument in Händen hält, dann ist selbst ein Schlaganfall nur noch ein ferner Alptraum, weggewischt von einem trotzigen „That’s life“ und allenfalls gespiegelt von der Notwendigkeit der Inanspruchnahme eines Gehstockes.

Mit Standing Ovations und der sprichwörtlichen „Träne im Knopfloch“ verabschieden wir uns vor dem großen Meister und träumen davon, ihn irgendwann vielleicht sogar in München in der Unterfahrt zu hören und zu sehen. Träumen wird man ja noch dürfen. Dass wir womöglich nächstes Jahr wieder hier vorbeikommen, ist dagegen keine Drohung, kein Versprecher sondern ein Versprechen, dass wir ihm gerne geben, als wir uns zum Abschied kurz in den Armen liegen…

 Ein Video vom heutigen Abend gibt es nicht, aber einen guten Eindruck von der Meisterschaft Trân Manh Tuân’s kann man sich hier verschaffen:  

 

Rückblende:
Am Vormittag sind wir nach dem Frühstück im Hàng Asian Kitchen, mit dem „Hop On Hop Off Bus“zu einer kleinen Sightseeing-Tour durch die Stadt gestartet. Den Doppeldecker der roten Linie besteigen wir mit einem 4 Stunden Ticket, um auch während der rund einstündigen Fahrt beliebig ein- und aussteigen zu können. Als wir dann in die blaue Linie wechseln wollen, geht das nicht. Das sei nur mit einem Tagesticket möglich. Aber kein Problem, die freundliche Schaffnerin ermöglicht gegen einen kleinen Aufpreis  ein Upgrade unserer Tickets. Natürlich hätten wir das auch billiger haben können, wenn wir es gleich so gemacht hätten. Aber, so ist das Leben: mal gewinnt man, mal, verliert man.

Von außen sind die beiden Linien übrigens kaum zu unterscheiden. Nur die eindeutig menschlichen Stimmen, die über Kopfhörer in verschiedenen Sprachen Informationen zu allen wichtigen Gebäuden und Straßen entlang der Route mitteilen, sind unterschiedlich. Auf der roten Linie ist es eine Frau, auf der blauen ein Mann, die die Texte sprechen. Zum Service gehört außerdem, dass die Passagiere auf dem Oberdeck leihweise kostenlos einen Spitzhut zum Schutz gegen die pralle Sonne zur Verfügung gestellt bekommen.

Auf der blauen Tour mit Stationen in Chinatown legen wir einen kleinen Stopp ein. Die Durchsage zu der Zehntausend Buddha Pagode (Van Phat) hat uns neugierig gemacht. Das  vierstöckige Gebäude im chinesischen Stil liegt versteckt in einem Hinterhof des 5. Distrikts und gilt als Rekordhalter der Tempel mit den meisten Buddha-Statuen in Vietnam.

Es lohnt sich, die Treppen bis in den vierten Stock hinaufzusteigen, in der sich die Haupthalle „Quang Minh“ des Tempels befindet. In der Mitte thront auf einer Plattform aus Lotusblüten mit gekreuzten Beinen im vollen Lotossitz eine Statue des Shayamuni Buddha, auch bekannt als Gautama Buddha.

Um ihn herum, an der Rückwand und den Seitenwänden befinden sich in Nischen zehntausend kleine und ein paar größere Buddha-Statuen, die seit dem Bau der Anlage im Jahr 1959 von Gläubigen gestiftet wurden.

 

Unterkunft:
Vilion Hotel & Spa
43 Đ. Lê Anh Xuân,
Phường Bến Thành, Quận 1,
Hồ Chí Minh, Vietnam

MusikTipp:
Saxn’Art Club
188/BB4 Nguyễn Văn Hưởng
Thao Dien ward, Thu Duc
Hồ Chí Minh 700000

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