Nach dem Frühstück machen wir uns auf die Suche nach dem Saigon, das wir vor 2011 und 2013 zuletzt gemeinsam bereist hatten. Damals wohnten wir direkt in der Nähe der Bui Vien Street, der bei Backpackern beliebten Partymeile im ersten Distrikt von Saigon. Mittags ist es hier noch ruhig, nach Einbruch der Dunkelheit steppt hier noch immer der Bär. Mächtig aufgerüstet haben sie. An der Fassade der Vulcano Bar bekämpfen sich zwei Drachen aus Fantasy-Welten, vom Miss Saigon hat sich gleich eine sechsfache Beamer-Batterie positioniert, um bei Dunkelheit mit Lichtfingern unters Feiervolk zu fahren.
Hier tummelten sich vor 15 Jahren auch noch zahlreiche talentierte Maler mit ihren nach Postkartenbildern originalgetreu auf Leinwand vergrößerten, aber unsignierten van Goghs und Klimts. Die waren schon bei unserer letzten Reise weniger geworden, heute sind sie fast verschwunden. Der einzige, den wir heute fanden, hat sich mehr auf das Malen von Portraits seiner Kunden und von ihnen mitgebrachten Portraitfotos spezialisiert, die er fotorealistisch auf die Leinwand repliziert. Wohlgemerkt in Handarbeit mit Öl- oder Acrylfarbe und Pinsel, nicht mit dem Farbdrucker.
Um wieviel ruhiger es hier mal früher zuging, kann man in den kleinen Seitengassen Hém 28 und Hém 40 erahnen, die die Bui Vien mit der Phạm Ngũ Lão verbinden. Der Eingang zu einem kleinen buddhistischen Tempel wurde frisch restauriert, das kleine Restaurant Nhà Hàng Asian Kitchen ist auch heute noch beliebter Traveller-Treffpunkt. Gesprächsstoff gibt es genug. André, der 80jährige französiche Historiker am Nebentisch entpuppt sich als Fan deutscher Städte. In Saigon ist er mit dem Fahrrad unterwegs auf Spurensuche nach Plätzen, die er vor rund 50 Jahren erstmals besuchte.
Auch wir wollen an frühere Reisen anknüpfen und suchen bei den damals bewährten Tour-Vermittlern Sinh- Café und Kim‘s Café (heute Sinh Travel und Kim Travel) nach Wegen ins Delta, die wir abseits der vom Massentourismus angesteuerten Ziele mit immer denselben Räucherstäbchen- und Kokos-Bonbon-Herstellern wähnen. Leichter gesagt als getan. Die Angestellte von Kim-Travel macht zwar zunächst ein plausibles Angebot für einen Fahrer, der uns zu den gewünschten Zielen bringen könnte. Nach Rücksprache mit ihrer Chefin rudert sie aber gleich wieder zurück. Das einzig verfügbare Auto stünde für die von uns anvisierten Tage aufgrund eines neuen Gesetzes nicht zur Verfügung, da es bislang nur als Privatwagen gemeldet sei und jetzt als Geschäftsfahrzeug mit gelbem Nummernschild registriert werden müsse. Ansonsten drohe dem Fahrer eine Strafe von 400 US-Dollar (sic!). Dagegen sind selbst Strafzettel wegen Falschparkens bei uns ein Schnäppchen, die immerhin schon im mittleren zweistelligen Bereich liegen.
Enttäuscht wandern wir weiter die Lê Lợi in Richtung Skyline zum Ben-Tranh-Markt mit dem signifikanten Uhrenturm. Am Straßenrand weisen Plakate auf den vor dem Markt gelegenen Eingang der erst kurz vor Weihnachten eröffneten ersten U-Bahn-Teilstrecke von Ho-Chi-MInh-City. Die letzten Baulücken am Straßenrand werden noch geschlossen, viele Gebäude wurden modernisiert.
Auch auf dem Markt haben die neuen Zeiten Einzug gehalten. Den abendlichen Nachtmarkt mit frischem Fisch direkt aus kleinen Wasser-Bassins und anderem, erst kurz vor der Zubereitung frisch geschlachtetem Getier gibt es nicht mehr. Er wurde im Zuge der Corona-Pandemie geschlossen und seitdem nicht wieder eröffnet.
Ganz im Gegenteil zum „Parkdeck“, einem Restaurant mit authentisch deutschen Fleisch- und Wurst-Spezialitäten und bayrischem Bier vom Fass, das Anfang 2020, kurz vor dem Ausbruch der Pandemie von dem Deutschen Thomas Weigelt eröffnet wurde.
“In jedem Ende wohnt ein Anfang inne” schrieb schon Hermann Hesse.
Und manchmal gehört auch ein bisschen Mut zur rechten Zeit dazu…
Unterkunft:
Lucky Star Hotel 146 Nguyen Trai
146 Nguyen Trai
Stadtbezirk 1, Ho-Chi-Minh-Stadt
Essen & Trinken:
Parkhaus Le Lai
152 Lê Lai
Phường Phạm Ngũ Lão
Quận 1, Hồ Chí Minh