Orte des Verweilens

„Ready?“ Makara Sou streckt wieder einmal den Daumen hoch. Na klar, sind wir bereit für neue Entdeckungen jenseits des uns schon Bekannten, selbst wenn wir die Orte sin der Vergangenheit schon ein- oder mehrfach .besucht haben. Für den Vormittag hat Sou die Besichtigung von drei weiteren Tempelanlagen vorgeschlagen, auf einen Bootstrip zu einem schwimmenden Dorf am Nachmittag verzichten wir.

Siem Reap rüstet nach. Auf. der Fahrt aus der Stadt kommen wir an zahlreichen Baustellen vorbei. Lücken werden geschlossen, ältere Gebäude auf Hochglanz poliert. Bei einem Hotel werden gerade die neuen Betten geliefert. Nur bei den Tuk-Tuks bleibt alles beim Alten, lediglich die Farben werden dem Zeitgeschmack angepasst, mal überholen wir eins in grellem Barbie-Pink, mal quetscht sich ein quietschbuntes Gefährt im Playmobil-Stil an uns vorbei. Prinzipiell sind es immer noch mit einem Zweitaktgemisch betriebene Mopeds, die eine Rikscha für 2 – 4 Personen angehängt haben.

Als wir am Preah Ko Tempel ankommen, sind wir noch allein. Doch noch während wir wir aus dem Tuk Tuk klettern, hält zwanzig Meter weiter ein Bus, eine Gruppe Japaner steigt aus. Die brauchen zum Glück eine Zeitlang, um sich zu sortieren und von ihrem Guide mit den grundlegenden Informationen zu dieser Station ihrer Reise versorgt zu werden. Zeit genug für mich, allein ein wenig die Ruhe auf dem Tempelgelände auf mich wirken zu lassen.

Das zentrale Heiligtum besteht aus sechs Türmen, die jeweils zu dritt in zwei Reihen gruppiert sind, die Größeren vorne, die Kleineren hinten. Der „Tempel des Heiligen Ochsen“, vermittelt mir die Übersetzung seines Namens schon bei der Annäherung, Die gehörnten Reittiere Shivas kauern vor der ersten Turmreihe und recken dem Besucher den Hintern entgegen.

Zwei der drei vorderen Türme auf der Plattform des Tempels werden gerade restauriert. Auch hier versucht man nicht, die nachgebesserten Stellen zu verstecken. Sie bleiben in Farbe und Struktur deutlich vom ursprünglichen Material unterscheidbar. Im Moment ruhen die Arbeiten. Lediglich ein Arbeiter hat sich hinter einer Plane versteckt, die einen der Türme in Christo-Manier verpackt. Er lauscht den monotonen Belehrungen eines buddhistischen Mönches, die er über sein Handy empfängt und unterbricht sie erst, als die japanische Reisegruppe fleißig handygrafierend das Terrain erobert.

Keine drei Minuten später sind wir wieder unterwegs und am Tempelberg Bakong angekommen. Unten haben sich einige Grün-Hemden im Gras niedergelassen und ihre Mäher beiseitegelegt. Die Rasenflächen rings um den Tempel werden penibel kurzgehalten. Auch der Wassergraben rund um die Anlage wirkt sehr gepflegt.

Dann heißt es auch schon wieder Treppensteigen. Die fünfstufige Pyramide Bakong sus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ist übrigens der erste monumentale Tempelberg, den ein Khmer-König in der Ebene von Angkor  errichten ließ. Jeweils sieben steile Stufen führen von einer zur nächsten Plattform. Die unteren drei werden an den Ecken wieder einmal von Elefanten bewacht, während unten wie bei hinduistischen Tempeln üblich eine heilige Kuh den Besucher klassisch mit dem Hintern begrüßt.

Vom ursprünglichen Schrein in der Kammer auf der Spitze der Pyramide ist ist nichts mehr übrig, stattdessen füllen zwei kleine Buddha-Figuren die Nische an der Rückwand. Die Bedeutung der Kreidezeichen neben der rechten Statur bleiben mir verschlossen. Da ich gerade alleine hier oben bin, ist auch kein Guide in der Nähe, den man fragen könnte.

Letzte Station unserer heutigen Tour sind die Ruinen der Tempelanlage von Lolei. Hier wurde gleich ein kompletter buddhistischer Tempel neben die vier Türme des ehemals indischen Heiligtums gesetzt.

Unweit eines Zelts für die Renovierungsarbeiten hat sich ein Arbeiter niedergelassen und rezitiert laut einen mutmaßlich buddhistischen Text.

„Der Einzelne sollte Mitgefühl kultivieren, es gibt kein Dharma, es gibt keine Grenzen, es gibt keinen Feind auf der ganzen Welt, von innen, von oben, von der Breite, von der Mitte, von unten.

Die Person, die diese Freundlichkeit entwickelt, egal ob sie steht, geht, sitzt oder schläft, ist eine Person, die einen starken Sinn für Humor hat, das heißt, solange sie nicht einschläft.

Eine Person, die Mitgefühl [im Sinne von] Brahma Vihara hat, ist nicht zufrieden mit der Ansicht, dass sie eine tugendhafte Person mit einer Philosophie ist.“

Quelle: IM Translator

Die Übersetzung des Textes wurde möglich, nachdem ich die Khmer-Schrift vom Foto später im Hotel über die Google-Bilderkennung buchstabengetreu erfassen und dann über den „IM Translator“ ins Deutsche übersetzen konnte. DeepL unterstützt die Khmer-Sprache derzeit nicht.

Damit ist klar. Bei dem Meditationstext handelte es sich um Anweisungen der Brahmavihara, den  vier Tugenden der buddhistischen Ethik. Zu den „vier himmlischen Verweilzuständen“ zählen:

1.          maitrī :
Freund/Freundschaft, Liebende Güte (liebevoll)            

2.          karuṇā :
Mitgefühl (erbarmend

3.          muditā :
Mitfreude (freudvoll)

4.          upekṣā :
Gleichmut, Gelassenheit (unbewegt)

Quelle: Wikipedia

Der Arbeiter beschäftigte sich offensichtlich mit der Problematik des Mitgefühls der Brahmavihara:

„Karuṇa als Adjektiv hat die Bedeutung von kläglich, traurig, mitleidig und ist ein zentraler Begriff der buddhistischen Geistesschulung und Ethik.Er beschreibt die Tugend des Erbarmens, der Liebe und des (tätigen) Mitgefühls.

Diese Geisteshaltung ist neben Metta (Liebende Güte), Mudita (Mitfreude) und Upekkhā (Gleichmut) eine der vier Grundtugenden (Brahmaviharas), die ein Bodhisattva auf seinem Weg, anderen zur Erleuchtung zu verhelfen, entwickeln sollte.

Karuna ist eine Haltung des Mitgefühls, in der sich alle dualistischen Vorstellungen und die damit verbundenen Widerstände und Abneigungen auflösen: Allen Wesen und allen Erscheinungen dieser Welt wird mit derselben alles umfassenden Liebe und Hilfsbereitschaft begegnet.“

Quelle: Wikipedia

Mit diesem kleinen buddhistischen Exkurs endet der heutige Tag. „Love Is the Answer “. Der Abschluss-Song des Albums „Oops! Wrong Planet“ der Progressiv Rockband Utopia des Musikers Todd Rundgren aus dem Jahr 1977 weist die Richtung. Die vor 13 Jahren gewählte Silverpacker-Devise „… unterwegs in einer Welt, die das neugierige Staunen noch nicht verlernt hat …“ führte wieder einmal zu neuen Erkenntnissen und Einsichten, die vielleicht auch eine Antwort auf das „Was tun“ auf die pessimistischen Meldungen und Stimmungen geben könnte, die uns derzeit aus Deutschland erreichen.

„Von dem Wort „Mitleid“ unterscheidet sich Karuṇa dadurch, dass „Mitgefühl“ zusätzlich zum Wahrnehmen des Leids auch den Wunsch und die Tat beinhaltet, das Leid zu lindern.“

Quelle: Wikipedia

Unterkunft:
Rei Kandoeng Angkor

Ta Poul areas
Old French Quarter
Siem Reap, Kambodscha

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