„Money?“ bettelt der kleine Junge und deutet vorwurfsvoll auf den kleinen Fisch im Bootsrumpf. Sein großer Bruder gibt derweil den fotogenen Einbeinruderer im morgendlichen Gegenlicht auf dem Inle Lake. „Money“ kommt es noch einmal, diesmal noch fordernder. So war das eigentlich nicht geplant. Wir waren morgens um acht mit einem motorisierten Langboot zu einer Rundtour auf dem Inle Lake gestartet. Von Nyaungshwe ging es zunächst durch einen breiten Kanal mit Vogelschutzgebiet auf der einen und Landwirtschaft auf der anderen Seite. Als wir endlich den See erreichen, ist der erste Stopp nicht weit. „Money?“ Nein danke. Bitte keine Statisten! Die Fischer sind zwar DAS Fotomotiv des Sees, wenn sie geschickt das Ruder mit einem Bein im Wasser bewegen, um gleichzeitig beide Hände zum Fischen frei zu haben. Aber die künstlich geschaffene Gelegenheit, bereits zu Beginn der Bootstour zum Schuss zu kommen, ist nicht unser Ding. Wir lassen unsere Kameras eingepackt und geben zu verstehen, dass wir nicht bereit sind, für ein Foto zu zahlen. Ob das die japanische Reisegruppe hinter uns auch so sieht, darf bezweifelt werden. Und wenn die beiden Akteure erfolgreich sind, warten nächstes Jahr wahrscheinlich drei weitere Einbeinruderer-Darsteller auf zahlungswillige Kundschaft. Man kann ja nie wissen, ob man nochmal so nah an das begehrte Motiv herankommt.
Auch die nächste Station wartet mit einem kalkulierten Szenario. Diesmal sind es drei Langhalsfrauen vom Stamm der Paduang, die in einem Shop am Ende der Verkaufstische beim Weben fotografiert werden dürfen. Hier liegt die Sache freilich ein wenig anders. Was auf dem See plumpe Bettelei war, ist hier das Ergebnis einer Notlage. Ähnlich wie die tätowierten Frauen, die wir zu Beginn der Reise in ihren Dörfern nördlich von Mrauk U besuchten, haben auch die Paduang ihre Frauen durch die kalkulierte Missbildung ihrer Hälse vor dem Raub durch Nachbarstämme schützen wollen. Das ist heute offenkundig nicht mehr nötig. Dennoch wird die Tradition aufrechterhalten, denn sie bietet heute andere Vorteile. Die mittels zahlreicher Messingringe künstlich lang und länger gestreckten Hälse der Frauen machen sie zum beliebten Fotomotiv und gleichzeitig wichtigsten Einnahmequelle für die Dörfer. Diese liegen jedoch fernab der großen Touristenströme, so dass die Frauen mittlerweile in die Orte der Touristen kommen – ob in Nordthailand oder eben hier am Inle Lake. Die „Vermarktung“ erfolgt dann höchst unterschiedlich. Wir hörten, dass sie andernorts in einen Raum gesperrt und gegen Eintritt fotowütigen Touristen zur Schau gestellt würden. Hier scheint noch ein Rest Menschenwürde gewahrt zu werden. Der Händler hofft nur auf mehr Besucher in seinem Shop. Wenn diese dann Produkte kaufen, die zum Teil vor Ort von den Frauen produziert werden, umso besser. Stolz reckt die ältere der drei Frauen ihren Hals ins rechte Licht und ermuntert uns zum Fotografieren. Ihr Blick scheint zu sagen: „Ist okay. Das ist mein Job. Fotografiert mich ruhig. Deshalb bin ich hier.“ Trotzdem bleibt ein fader Nachgeschmack.
Der nächste Stopp ist wieder ein Händler. Diesmal mit einer Ecke hinter dem Tresen, die eine kleine Silberschmiede darstellen soll. Wir sind kurz davor, die Tour abzubrechen. Für eine touristische Nepp- und Shoppingtour haben wir nicht bezahlt. „Okay, okay. Next Stop Pagoda!“ beschwichtigt unser Bootsführer. Einverstanden, letzter Versuch. Vom See geht es in einen kleinen Kanal ein Stück landeinwärts bis Indein. Am Jetty haben schon zahlreiche Boote festgemacht. Hier wartet nicht nur ein sehenswertes Pagodenfeld sondern auch ein größerer Markt. Der bietet nicht nur den üblichen auf Alt getrimmten Antiquitätenfundus für den asiatika-begeisterten Reisenden, sondern ist auch und vor allem für die Einheimischen ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art. Außerdem finden gerade Sportwettkämpfe anlässlich des Nationalfeiertags statt. Hier geht das Leben noch seinen gewohnten Gang. Die Touristen stören da nicht weiter. Unsere Laune bessert sich und wir stapfen durch einen endlos scheinenden Gang mit Verkaufstischen zu beiden Seiten den Hügel hinauf zur Shwe Inn Thein Pagode.
Natürlich folgen auf dem See noch weitere Anleger bei lokalen Handwerksbetrieben. Diese sind aber authentisch und keine reinen Verkaufsveranstaltungen. Unsere Tour ist wie eine Bootsfahrt durch ein weitläufiges Museumsdorf. Nur mit dem Unterschied, dass die einzelnen Betriebe hier nicht zum Spaß alte Traditionen pflegen, sondern uns einen Einblick in ihren Alltag erlauben. Und so wie bei uns daheim nur noch die Straßennamen in manchen Altstädten von ihren früheren Bewohnern erzählen, sind es hier ganze Areale, in denen sich Silberschmiede, Weber und andere Zünfte konzentrieren.
In der kleinen Zigarrenmanufaktur werden fast tabaklose Cheroots gefertigt, bei denen getrocknete und zerhäckselte Tamarinde, Ananas, Bananen und Honig in ein Blatt vom Thanal-Phet Baum gedreht werden. Alternativ gibt es Zigarillos mit einer Füllung aus Sternanis und ein wenig Tabak. In einem anderen Gebiet am Seeufer haben sich Webereien angesiedelt, darunter eine Lotusweberei. Hier werden aus Lotusstengeln zunächst Fäden gezogen, die anschließend zu Fäden versponnen und dann meist mit Seide zu Sarongtüchern oder Schals verwebt werden.
Nach einem Besuch in einer klassischen Schmiede, wie man sie bei uns allenfalls noch im Museum findet, macht das lärmige Langboot am Steg der Phaun Daw U-Pagode fest. Wie auch andernorts üblich opfern die Gläubigen hier Buddha-Statuen im Zentrum der Pagode Blattgold. Das tun sie schon seit Jahrzehnten und von den fünf Buddhas ist nicht mehr viel zu sehen. Sie ähneln vielmehr vier goldenen Schneebällen mit einem zweikugligen vergoldeten Schneemann in der Mitte. Vier der fünf Buddhas werden alljährlich in einer Prozession über den See gefahren und verbleiben für einige Zeit in den anliegenden Orten. In kleinen Dörfern rasten sie nur kurz zur Mittagszeit, in größeren Dörfern bleiben sie eine Nacht und in Nyaungshwe sogar drei Tage. Nur eine Statue fährt nicht mit. Nachdem das Boot mit dem nach Nordosten schauenden Buddha einmal versank und die Goldkugel auf wundersame Weise wieder an ihrem Platz in der Pagode auftauchte, verzichten die Gläubigen auf die Seefahrt dieser Statue. Natürlich kann man sich fragen, ob und wie der doch recht massive Goldklumpen wieder an seinen Platz zurückschwimmen konnte. Aber man muss das ja nicht noch einmal provozieren.
Am späteren Nachmittag erreichen wir das Nga Phe Chaung Kloster, das für seine springenden Katzen bekannt ist. Die Vorführung ist allerdings recht enttäuschend. Eine Frau setzt sich sichtlich desinteressiert zu den vier Katzen und „überredet“ sie zu dem gewünschten Kunststück. Ruppig dreht sie die Stubentiger in die gewünschte Richtung – dort wo die Touristen mit den Kameras hocken. Dann bedeutet sie einer der Katzen mit sanftem Druck des Reifens am Köpfchen, durch diesen zu springen. Nach zwei bis drei Sprüngen jeden Tiers ist dann schon Schluss und es gibt zur Belohnung ein wenig Trockenfutter aus der Vorratsdose. Irgendwie war das auch nicht so, wie wir es erwartet hatten. Als Cosy vor 15 Jahren das Kloster besuchte, hatte ein Mönch sich liebevoll mit den Katzen beschäftigt und diese beiläufig durch einen Reifen springen lassen. Wir fragen einen Mönch, der draußen vor der Pagode sitzt, wie aus der ursprünglich so natürlichen Vorführung solch eine touristische Schnellabfütterung werden konnte. „We are not longer in the mood“, ist seine lapidare Antwort.
Was wirklich dahinter steckt, erzählt uns Kyaw am nächsten Abend. Die örtliche Mönchsversammlung hat die Vorführung durch die Mönche untersagt. Da diese aber mittlerweile zur Attraktion des Klosters geworden war, baten die Mönche die Händler vor der Pagode, diese Aufgabe zu übernehmen. Reihum muss jetzt jeder Standbesitzer einen Tag lang die Katzen springen lassen. Schließlich verdienen die Händler ja auch an den so immer noch zahlreich kommenden Touristen. Die wechselnden Ansprechpartner sind natürlich Gift für eine harmonische Vorführung. Da darf man sich nicht wundern über die Lustlosigkeit der Katzen und einer Händlerin, die zur selben Zeit lieber gute Geschäfte machen würde.
Auch die schwimmenden Gärten sind nicht mehr in dem Umfang zu finden, wie noch vor 15 Jahren. Zahlreiche dieser idyllischen Beete auf Bambusstangen fielen beispielsweise am Kanal von Nyaungshwe einem missglückten Agrarexperiment zum Opfer. Im seichten Wasserwurden Kanäle ausgebaggert und das so gewonnene Erdreich zwischen diesen aufgeschüttet, um es zur Bewirtschaftung zu nutzen. Einen gleichwertigen Ersatz für die ertragreichen schwimmenden Gärten boten sie nicht. Mittlerweile haben sich die Initiatoren dieses Projekts einer neuen Herausforderung gestellt. Seit ein paar Jahren versuchen sie sich als Weinbauern in dieser Region. Doch davon mehr am nächsten Tag.
Auch wenn sich im Vergleich zu früheren Besuchen manches am Inle Lake schon arg auf touristische Kompatibilität getrimmt wurde, ist diese Region noch immer ein Highlight und gehört nicht umsonst zu den Topzielen einer Reise durch Myanmar. Vergleiche mit dem Tonle Sap in Kambodscha oder das Mekongdelta Vietnams können mit der immer noch überwiegenden Natürlichkeit dieser Region nicht mithalten. Bleibt zu hoffen, dass das fragile Gleichgewicht zwischen lokaler Ursprünglichkeit und notwendiger Anpassungen an die touristischen Erfordernisse auch in Zukunft erhalten bleibt. An einigen Stellen droht es bereits zu kippen…
Übernachtung:
Teakwood Guesthouse
Nyaungshwe